An dieser Stelle möchten wir kurz über die Anfänge und Geschichte der Firma GLASFLÜGEL Segelflugzeugbau informieren. Ein umfassenderes Nachschlagewerk bietet das Glasflügel Buch, welches inzwischen in einer zweiten Auflage erschienen ist.
Eugen und Ursula Hänle
Eugen Hänle wurde am 05. Oktober 1924 in Ellwangen geboren. Während des Krieges wurde er zum Flugzeugführer ausgebildet und flog in den letzten Kriegsjahren die Junkers Ju88.
An der Hochschule in Esslingen studierte Hänle Maschinenbau und schloss dieses als Diplom-Ingeneur ab. Seine Leidenschaft war der Segelflug und so war er nach der Wiederzulassung des Segelfluges in Deutschland als Werkstattleiter im Flugverein Untertürkheim maßgeblich am Bau von mehreren Hütter 17b beteiligt. Durch seinen Wunsch selber eine Hütter H-30 zu besitzen kam er in Kontakt mit den Gebrüdern Hütter die eigene Konstruktionen zu Papier und in die Luft gebracht haben.
In verschiedenen Werkstätten und zu Hause im Wohnzimmer baute Hänle zusammen mit seiner Frau Ursula eine H-30 in GFK-Balsa-Bauweise. Diese gilt u.a. als Grundlage für den später von Ursula Hänle nach der Trennung in ihrem eigenen Betrieb der start+flug GmbH in Saulgau gebauten Salto.
Rennlibelle H-301
Eugen Aeberli, ein schweizer Segelflieger aus dem Raum Zürich, ließ von Wolfgang Hütter auf der Basis der H-30 GFK die spätere H-301 „Klappenlibelle“ konstruieren. Aeberli und Hütter suchten eine Firma, die dieses Flugzeug herstellt und wurden bei Eugen Hänle fündig. Dieser baute nach Überarbeitung der Pläne von Hütter und Aeberli sein erstes GFK Flugzeug. Interessant war hierbei die vereinbarte Preisgestaltung: pro Kilogramm verarbeitetem Harz 100,- DM, was einen Preis von 15.000,- DM für die erste Libelle ergibt. Diese fliegt auch heute noch in Thun in der Schweiz als HB-742, und ist auf den nachfolgenden Bildern zu sehen. Insgesamt 111 „Rennlibellen“ werden gebaut, die letzte im Mai 1969.
Parallel zur Fertigung der H-301 baute Hänle eine grosse Werkhalle in Schlattstall.
BS-1
Nachdem Björn Stender, Konstukteur und Erbauer der ersten BS-1 mit dieser 1963 auf der Hahnweide abgestürzt war, suchten Wettbewerbspiloten der damaligen offenen Klasse einen Hersteller, der dieses Flugzeug bauen sollte.
Eugen Hänle konnte dafür gewonnen werden. 1966 war der von Huldreich Müller durchgeführte Erstflug der Glasflügel BS-1. 18 Maschinen wurden bei Glasflügel gebaut. Neben der mit Björn Stender abgestürzten Maschine gibt es noch eine weitere, von Stender gebaute, so dass die Gesamtstückzahl bei insgesamt 20 Exemplaren dieses Typs liegt.
Standard Libelle 201
Von 1972 bis 1973 errichtete Eugen Hänle in Saulgau eine Montage und Auslieferungshalle. Der Rohbau, der aus der H-301 weiterentwickelten Standard Libelle 201 und 201B und aller weiteren Flugzeuge wurde zuerst in Schlattstall erstellt, und anschließend in Saulgau lackiert, fertiggestellt und eingeflogen. Hierfür wurde von Hänle eine Asphaltbahn gebaut um auch im Winter die fertigen Flugzeuge einfliegen und ausliefern zu können.
Die Standard Libelle 201, das aus heutiger Sicht erfolgreichste Segelflugzeug von Glasflügel, erreichte als erstes eine Stückzahl von über 500 gebauten Exemplaren und wurde dann später hinter dem Standard Cirrus und den verschiedenen LS-1 Typen mit 600 Stück das meistgebaute Segelflugzeug seiner Zeit. Sogar der erste Mensch auf dem Mond, Neil Armstrong, ebenfalls ein leidenschaftlicher Segelflieger, besaß eine Standard Libelle 201.
Auch heute ist die Standard Libelle noch ein beliebtes Segelflugzeug, welches sich bei Club-Klasse Wettbewerben und Meisterschaften großer Beliebtheit erfreut. Vor allem die Möglichkeit, die Libelle um Winglets und Flächen-Rumpf-Übergänge zu modifizieren, holt den ein oder anderen Gleitpunkt mehr heraus und verbessert ihre Flugeigenschaften immens.
Von 1970 bis 1974 wurden mehrere Weiterentwicklungen der Standard Libelle 201 von der 202 bis 204 gebaut, die es jedoch alle als Prototypen bzw. Einzelstücke nicht zur Serienreife gebracht haben.
Salto H-101
Bereits 1970 wurde von Ursula Hänle mit ihrer eigenen Firma start+flug GmbH ebenfalls ein Werk in Saulgau errichtet. Der Salto wurde noch bei Glasflügel in Schlattstall entwickelt, wobei die Flügelform der Standard Libelle 201 zugrunde lag. Lediglich die Spannweite wurde innen gekürzt, so dass 13,5m Spannweite entstanden. Die Flügelberechnung bei Glasflügel oblag Johannes Renner. Den Rumpf mit Steuerung entwickelte Ursula Hänle noch in Schlattstall in Anlehnung an die H-30 GFK von Hütter und Hänle. Den Erstflug mit den Salto machte Huldreich Müller, die Flugerprobung führte Johannes Renner für die Normalflugzulassung durch. Helmut Lauerson (DLR) war für die Akrobatik-Flugerprobung des Salto zuständig. Er wurde auch Deutscher Meister mit dem Salto bei der Deutschen Kunstflugmeisterschaft in Saulgau. Die erste Serienmaschine des Salto wurde bereits in Saulgau hergestellt.
Kestrel 401
Zwischen 1968 und 1975 ist der für die damalige Zeit revolutionär anmutende Glasflügel 401 Kestrel mit 17m Spannweite entstanden und gebaut worden. Technische Finessen, wie die gegenseitige Überlagerung von Querruder und Wölbklappen, sowie die Form, machen den Kestrel auch heute noch nach fast 50 Jahren zu einem harmonischen und schönen Flugzeug. Zum ersten Mal bei Glasflügel ist in der Kestrel der von Josef Prasser entwickelte Parallelogramm-Knüppel mit der Schnelltrimmung verwirklicht. 129 Glasflügel Kestrel wurden gebaut.
Die Firma Slingsby aus Großbritannien kaufte damals eine Lizenz von Glasflügel, den Kestrel in einer 19m-Version weiterbauen zu dürfen. Diese Flugzeuge sind als Slingsby T.59 Kestrel bekannt, sehen aber weitestgehend dem Original sehr ähnlich. Von der T.59 gab es auch verschiedene Ausführung und Modifikationen, die Spannweiten bis zu 22m besaßen (T.59H). Insgesamt 105 Slingsby T.59 wurden in Lizenz gefertigt.
Glasflügel 604
Aus dem Kestrel entstand in einer Bauzeit von nur 4 Monaten (!) das Flaggschiff von Glasflügel, die Glasflügel 604. Mit 22m Spannweite und einem Leergewicht von 440kp wurde das Flugzeug für Walter Neubert für die WM 1970 in Marfa gebaut. Neubert wurde Sechster, obwohl er einen Wertungstag wegen einer Aussenlandung, bei der er für einen Tag als verschollen galt, versäumt hatte.
Club Libelle 205
Im Jahr 1974 wurde die Club-Libelle 205 vorgestellt und von Johannes Renner eingeflogen. Diese mit Komponenten der Std. Libelle, hatte aber ein gänzlich anderes Erscheinungsbild. Nicht nur der Rumpf und das Cockpit unterschieden sich von der Standard Libelle 201. Neu waren die durchgehenden Endkanten–Drehklappen, die sich dann zwar bei dem Folgemodell der Hornet 206 wiederfanden, aber sich im Flugzeugbau aus verschiedenen Gründen nicht durchsetzen konnte. 170 Exemplare der Club-Libelle wurden ausgeliefert, die letzte Anfang 1976.
Hornet 206
Ende Dezember 1974 startete Albert Metzler der aus den Erkenntnissen der Standard Libelle 203 und 204 entwickelten Hornet 206 in Saulgau zu ihrem Jungfernflug.
Am Wochenende des 20./21 Septembers 1975 wurden die ersten zwei der dann mit 101 Stück gebauten Hornet ausgeliefert. Dieses Wochenende war der Beginn des Endes für die Firma Glasflügel und tragisch für den Segelflugzeugbau in Deutschland: Eugen Hänle kam am Sonntag, 21.09.1975, bei einem Rundflug mit seiner Jodel ums Leben.
Die Firma Glasflügel firmierte danach als Holighaus & Hillenbrand GmbH + Co KG und als Deutsch-Brasilianische Flugzeug- und Fahrzeug GmbH bis zur vollständigen Auflösung im Jahre 1982 weiter. Dabei wurde noch die Mosquito, ein 15m-Klasse Flugzeug auf Grundlage der Hornet entwickelt und gebaut.
Mosquito 303
Die Entwicklung der Mosquito 303 war für Eugen Hänle eine Herzensangelegenheit und letztlich die Geburtsstunde der 15m-Rennklasse. Nach dem Erstflug, den Josef Prasser am 20. Februar 1976 auf der Hahnweide machte, wurden von 1976 bis 1980 noch 200 Stück gebaut. Die Flügel der Mosquito wurden auch beim Mini-Nimbus von Schempp-Hirth verwendet.
Die Glasflügel 304 wurde unter der Deutsch-Brasilianischen Flugzeug- und Fahrzeugbau und in Lizenz von Georg Brauchle im Allgäu gebaut. Eine als Glasflügel 402 bezeichnete Weiterentwicklung mit 17m blieb ein Einzelstück.
Falcon
Nach dem Konkurs der Firma Glasflügel übernahm Hansjörg Streifeneder, in Zeiten von Eugen Hänle Betriebsleiter des Werkes in Saulgau, die Betreuung der Glasflügel–Flugzeuge. Noch in den Glasflügelräumen baute er in 7 Monaten den Falcon.
1982 gründete er die Glasfaser-Flugzeug-Service GmbH und ab 1985 mit Sitz in Grabenstetten. Er ist heute zusammen mit seinem Sohn Christian Anlaufstelle für alle Besitzer von Glasflügel-Flugzeugen, wenn es darum geht Fragen zur Musterbetreuung zu klären. Neulackierungen, Service- und Reparaturarbeiten an Glasflügel- und Flugzeugen anderer Hersteller zählt zu ihren Leistungen, genauso wie der Formenbau für andere Flugzeughersteller oder die Luftfahrt- und Automobilindustrie.
Stückzahlen
Nachfolgend eine Tabelle der Muster und Stückzahlen der von Glasflügel gebauten Segelflugzeuge, es sind 1404 insgesamt, eine beachtliche Summe.
| Bezeichnung | Jahr | Stückzahl |
|---|---|---|
| H-30 GFK | 1962 | 1 |
| H-301 Libelle | 1965 bis 1969 | 108 |
| Glasflügel BS-1 | 1966 bis 1968 | 18 |
| Standard Libelle 201 | 1967 bis 1974 | 600 |
| Kestrel 401 | 1968 bis 1975 | 129 |
| Glasflügel 604 | 1970 bis 1973 | 10 |
| Standard Libelle 202 | 1970 | 1 |
| Standard Libelle 203 | 1972 | 1 |
| Standard Libelle 204 | 1973 | 1 |
| Club Libelle 205 | 1973 bis 1976 | 171 |
| Hornet 206 | 1975 bis 1979 | 89 |
| Hornet C | 1979 bis 1980 | 12 |
| Mosquito 303 | 1976 bis 1980 | 199 |
| Glasflügel 304 | 1980 bis 1982 | 62 |
| Glasflügel 402 | 1981 | 1 |
| Falcon | 1981 | 1 |
Das GLASFLÜGEL-Buch
Mehr als 40 Jahre nach dem Konkurs von Glasflügel liegt nun endlich eine umfassende Darstellung der Geschichte dieses bedeutendsten Herstellers des beginnenden Zeitalters der Flugzeuge aus glasfaserverstärkten Kunststoffen vor. Autor Wolfgang Binz schildert im Detail schon die Anfänge von Glasflügel, als der Bau von Segelflugzeugen noch gar nicht Gegenstand der Firmentätigkeit war, sondern Eugen und Ursula Hänle mit der H-30 GfK ein rein privates Abenteuer erlebten.
Der Autor hat für das Buch eine geradezu unglaubliche Fülle an bisher nicht bekannten Daten und Fakten zusammengetragen. So ergibt sich z.B. aus der Auswertung der Bilanzen ein doch völlig anderes Bild der unternehmerischen Qualitäten und wirtschaftlichen Erfolge von Eugen Hänle als bisher. Anders als gelegentlich kolportiert war die Firma zunächst überaus erfolgreich. Warum Eugen Hänle dann sein Lebenswerk aus den Händen genommen wurde, sei hier nicht verraten, aber es wird im Detail in diesem Buch analysiert. Dabei stützt sich der Autor soweit irgend möglich auf Dokumente und an einigen Stellen auch auf Aussagen von Zeitzeugen, aber er vermeidet es, sich in den vielen Gerüchten und Spekulationen zu verstricken.
Auch die Zeit nach dem tragischen Tod von Eugen Hänle wird in einer Tiefe dargestellt, die jedem Leser die Möglichkeit gibt, sich sein eigenes Urteil über die Vorgänge zu bilden. Dem Verfasser ist es gelungen durch die Darstellung von Fakten und die Auswertung von umfangreichem Archivmaterial ein schlüssiges Bild der Abläufe festzuhalten. Dabei kommen auch Vorgänge zur Sprache, die nicht schön sind, ja manches erscheint einfach fast unglaublich, und wirft so ein zweifelhaftes Licht auf manche bisherige Betrachtungsweise. Aber nur so kann man verstehen, warum aus dem größten Hersteller von Segelflugzeugen zu Beginn des Kunststoff-Zeitalters binnen weniger Jahre ein konkursreifes Unternehmen wurde. Es folgen dann noch die gescheiterten Rettungsversuche. Doch ein Buch über Glasflügel wäre nicht umfassend, ohne auch die Geschichte des „Erben“ von Eugen Hänle, Hansjörg Streifeneder zu schildern.
Abgerundet wird das Bild durch das Kapitel über Ursula Hänle’s Firma Start & Flug.
Insgesamt ein wirklich lesenswertes Buch mit einer Fülle neuer Erkenntnisse, die in sehr spannender Weise geschildert werden. So wird dem Andenken an Eugen Hänle und der von ihm und seinem Team geschaffenen Flugzeuge endlich der rechte Rahmen geschaffen.